Ich kann und will es auch überhaupt nicht leugnen: den Zusammenbruch der damaligen DDR-Diktatur begrüßte auch ich mit überschäumender Freude und nicht weniger glücklich war auch ich über das mir von einem freundlichen Beamten hingeblätterte Begrüßungsgeld, als ich als Ossi erstmals "heiligen" Boden im anderen Teil Deutschlands betrat. Weit weniger beglückend und erfreulich war dann allerdings eine alsbald nachfolgende und zu uns ahnungslosen Ossis herüberschwappende gänzlich andere Bescherung, nämlich eine sich massiv und schnell ausbreitende Arbeitslosigkeit. Da auch ich von diesem Übel keineswegs verschont bleibe, werde ich eines Tages vom Arbeitsamt  im Rahmen einer neuen ABM-Beschäftigung erstmals in ein Tierheim verwiesen und entdecke alsbald in diesem Tierheim  sozusagen meine Bestimmung und mein eigentlich richtiges Zuhause. 

Bevor ich mich jedoch  meinen Tierheim-Erinnerungen zuwende, zunächst  erst noch  ein kleiner Rückblick auf längst vergangene Ereignisse:

Vorwiegend ist es das Jahr 1989, welches uns an besonders große geschichtliche Ereignisse erinnert, denn viele Bürger der damaligen DDR wagen und riskieren ein friedliches Aufbegehren und Demonstrieren  gegen Unrecht, Willkür und Diktatur des DDR-Regimes. Der stets gepriesene und  verherrlichte Sozialismus, längst schon todkrank und dahinsiechend auf dem Sterbebett liegend,  bricht schließlich endgültig zusammen, es zerbröckelt härtester Beton und eine berüchtigte Mauer fällt und purzelt endlich in den Abgrund der Vergangenheit.

Elf Monate später ereignet sich die Wiedervereinigung Deutschlands. Die nicht mehr existierende DDR wird feierlich zu Grabe getragen und drei Buchstaben verschwinden für immer und ewig von sämtlichen Landkarten dieser Welt. Ossis und Wessis vermögen all diese Ereignisse kaum zu fassen. Ist alles nur ein schöner Traum? Oder ist es Realität? Jubilierend, glücklich, himmelhoch jauchzend und voller Enthusiasmus stürzt sich das bisher geknechtete Volk in die endlich gewonnene Freiheit.

Doch schon sehr bald folgt die Ernüchterung, der Jubel verstummt und die anfängliche Freude über alle errungenen Vorteile zerflattert im Gegenwind der nicht weniger erkennbaren Nachteile. Nun endlich dürfen wir Ossis zwar reisen, wohin auch immer wir wollen. Nun endlich dürfen wir auch frei und offen unsere Meinung äußern. Nun endlich gehört es auch der Vergangenheit an, um einiger Bananen oder Orangen willen in einer Schlange anstehen zu müssen. Und angesichts des enormen Produktangebotes in den Supermärkten vermochten wir überglücklichen Ossis nun auch endlich viele unserer bisher unerfüllten Wünsche zu erfüllen. Andererseits jedoch die bedrückende und ernüchternde Kehrseite der Medaille:

  • Massenarbeitslosigkeit,
  • viel weniger Zusammenhalt unter uns Menschen,
  • soziale Ungerechtigkeiten,
  • die Perspektivlosigkeit vieler junger Menschen,
  • eine größere Spanne zwischen Arm und Reich und anderes mehr

Wahrhaftig: Wohl kaum ein geschichtliches Ereignis ist so sehr umstritten wie diese Wiedervereinigung zwischen Ost und West. Einerseits uneingeschränkter Jubel und andererseits tiefste Enttäuschungen. Der einstige Jubel vieler Menschen hat sich längst schon in Nachdenklichkeit verwandelt und gegenseitige Schuldzuweisungen errichten immer wieder neue Mauern in unseren Köpfen.

Eines der schlimmsten Übel jedoch, welches die endlich gewonne Freiheit uns bescherte und mit sich gebracht hat, ist mit Sicherheit die Arbeitslosigkeit, die sich sogleich nach der Wende und Wiedervereinigung drastisch ausbreitete und die Existenzgrundlage vieler Menschen zum Einsturz brachte. Welch eine Entwürdigung der menschlichen Würde, nicht mehr gebraucht zu werden, ohne Arbeit und Einkommen den Alltag meistern zu müssen und um der nötigsten Bedürfnisse willen auf Almosen und staatliche Unterstützung angewiesen zu sein. Bereits schon im 18. Jahrhundert wurde Arbeitslosigkeit von einem Franzosen namens Charles Fourier wie folgt kritisiert:

"Wie groß ist doch das Unvermögen unserer Gesellschaft dem Armen einen geziemenden und seiner Erziehung angemessenen Unterhalt zu gewähren, ihm das erste der natürlichen Rechte zu verbürgen, das Recht auf Arbeit! Unter "natürlichen Rechten" verstehe ich nicht die unter dem Namen Freiheit und Gleichheit bekannten Schimären. So hoch will der Arme gar nicht hinaus! Er möchte dem Reichen nicht gleich sein; er wäre schon zufrieden, könnte er sich am Tisch ihrer Diener satt essen. Das Volk ist noch viel vernünftiger, als man verlangt. Es läßt sich die Unterwerfung, die Ungleichheit und die Knechtschaft gefallen, sofern ihr nur auf die Mittel sinnt, ihm zu Hilfe zu kommen, wenn politische Wirren es seiner Arbeit berauben, zur Hungersnot verdammen, in Schande und Verzweiflung stoßen. Erst dann fühlt es sich von der Politik im Stich gelassen."

Trotz dieser fast schon "mittelalterlichen" Gesellschaftskritik gibt es mehr als 200 Jahre später immer noch Menschen ohne Arbeit und ausreichendes Einkommen, Menschen, die im Abseits stehen, nicht mehr gebraucht werden, überflüssig geworden sind und dem fürsorgenden Sozialstaat und geplünderten Steuerzahler belastend teuer auf der Tasche liegen. Arbeitslosigkeit ist und bleibt letztlich ein Krebsgeschwür jeglicher Gesellschaftsordnung und ganz besonders ein schadhafter Virus unserer vielgerühmten und freien Marktwirtschaft.

Welch ein Erleben und Empfinden, nicht mehr gebraucht und als etwas Überflüssiges ins Abseits befördert zu werden. Solcherlei Erfahrungen vermögen nicht wenige Menschen an Leib und Seele krank zu machen und aus jeglichem Gleichgewicht zu werfen. Vielen Menschen, die sich plötzlich frei fühlten wie ein Vogel im Wind und überglücklich die damaligen politischen Ereignisse begrüßten, hat sich dieses Monster der Arbeitslosigkeit ziemlich rasch und unerwartet, wenig rücksichtsvoll, sondern ohne Gnade und Erbarmen in den Weg gestellt, zerschmetterte menschliche Hoffnungen und ließ so manchen Traum über ein zukünftig besseres Leben zu Eis gefrieren. Inzwischen sind zwei Jahrzehnte den Strom der Zeit hinuntergeflossen und die Arbeitslosigkeit vieler Menschen ist immer noch eines der größten Übel und Probleme unserer Zeit und Gesellschaftsordnung.

Angesichts langjähriger oder dauerhafter Arbeits – und Perspektivlosigkeit ist es oft nur  wenigen Menschen vergönnt, in solch einer Lebenssituation auch wieder etwas Lebensfreude zu entdecken und ein klein wenig Glück zu erfahren. Ein klein wenig von diesem Glück zu erhaschen, das bedeutete für viele arbeitslos gewordene Menschen in längst vergangenen Zeiten  unter anderem auch, vom Arbeitsamt möglicherweise eine ABM-Stelle zugewiesen und bewilligt zu bekommen. Mit einer derartigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme war man zumindest meist für ein Jahr lang erst wieder einmal versorgt und aus dem gröbsten Schneider.

Eine solche Tätigkeit brachte nicht nur etwas mehr Geld ins Portemmonaie, sondern sie erfüllte gleichsam den Zweck, weder einzurosten noch in den eigenen vier Wänden zu vereinsamen oder zu resignieren. Das heutzutage ABM-Beschäftigungen sehr rar geworden sind und von den politisch Verantwortlichen stark dezimiert bzw. abgeschafft wurden, vermag ich  nicht als einen Fortschritt zu bezeichnen, sondern wohl eher als krasses Gegenteil. Irgendwie merkwürdig ist nur, das derartige Rückschritte von den uns regierenden Politikern meist als positive und notwendige Reformen bezeichnet und als verbessernde und hilfreiche Maßnahmen gegenüber der Situation des Arbeitslosen gepriesen und verkündet werden.

Kurzum: Väterchen Staat vermochte sich alsbald die Vergabe weiterer ABM-Jobs weniger großzügig zu leisten und statt der vielen fleißigen und weniger fleißigen ABMler gab und gibt es fortan vorwiegend und hauptsächlich nur noch sogenannte 1-Euro-Jobber. Mit einem derartigen Job wurde uns Arbeitslosen nunmehr ein monatlicher Zusatzverdienst in Höhe von 120.- Euro zugebilligt und ermöglicht. Die Ansichten und Meinungen über diese 1-Euro-Jobs klaffen und gehen natürlich weit auseinander. Wer solch einen Job mehrmals ausgeführt hat, ganz gleich, ob gewünscht und gewollt aufgrund finanzieller Nöte oder ob von der Arbeitsagentur hierzu zwangsverpflichtet, der hat natürlich eine gänzlich andere Meinung als jemand, der als 1-Euro-Jobber niemals eigene Erfahrungen gesammelt hat. Während sich viele 1-Euro-Jobber in ihrer Haut nicht besonders wohl und glücklich fühlen, meinen und denken viele andere besonders "kluge" Menschen, das viele 1-Euro-Jobber für einen festen Job und für richtiges Arbeiten weder Lust noch Interesse hätten und Väterchen Staat dieser arbeitslosen Bande von 1-Euro-Jobbern letztlich unnütz und allzusehr viel Zucker in den Hintern blasen würde. Angesichts aller Gegensätzlichkeiten ist man sicher gut beraten, nachfolgende Worte zu überdenken und zu beherzigen:

Beurteile niemals einen Menschen, bevor Du nicht mindestens einen halben Mond lang seine Mokassins getragen hast.

Aber leider sind wir Menschen nicht nur sehr vergessliche Geschöpfe, sondern es ist auch immer wieder eine unserer negativen Eigenarten, bei unseren Mitmenschen vermeintlichen Schmutz zu entdecken und zu kritisieren, jedoch den  ganzen Dreck und Unrat vor der eigenen Haustür natürlich zu übersehen und nicht wahrzunehmen. Und so haben wir oft nichts Besseres zu tun, als wie auf gewissen Leuten herumzuhacken, sie von oben herab auseinander zu pflücken und aus einem entdeckten Haar in der Suppe eine Tragödie heraufzubeschwören. Die Denkweise mancher scheinbar ganz besonders klugen Leute und Besserwisser über jene 1-Euro-Jobber ist oft haarsträubender Natur und resultiert letztlich aus der Tatsache heraus, das man in den "Mokkasins" eines solchen 1-Euro-Jobbers eben noch keinen einzigen Meter weit gegangen ist.

Wie nun auch immer das Jobben für 1,50 Euro pro Stunde bewertet wird oder beurteilt werden sollte: Inzwischen wachsen und sprießen auch diese Nebenjobs nicht mehr wie Pilze aus dem Boden und glücklich ist, wer vergisst, das er möglicherweise nicht zu den Begünstigten und Auserwählten zählt, die hierfür entweder mit etwas Glück oder mit einer gehörigen Portion guter Beziehungen überhaupt noch in Frage kommen. Vieles scheint mehr und mehr den Abhang hinunter zu rutschen und die Kluft zwischen den Reichen und Armen, zwischen den Hilfebedürftigen und weniger Hilfebedürftigen in unserer Gesellschaft wird immer größer.

Da lobe ich doch glatt die einst besseren Zeiten und lande wieder bei den damaligen ABM-Beschäftigungen, denn eine dieser ABM-Maßnahmen veränderte trotz bleibender und dauerhafter Arbeitslosigkeit eines Tages meinen Lebensalltag sehr positiv. Einige dieser ABM-Beschäftigungen hatte ich sogleich nach der Wiedervereinigung bereits schon in meinem Wohnort absolviert und daraufhin erhielt ich erstmals eine ABM-Tätigkeit als Bauhelfer und Tierpfleger in einem nicht  weit von meinem Wohnort entfernten Tierheim. Und weil mir diese Tierheim-Tätigkeit sehr bald schon sehr wichtig wurde und sich zunehmend positiv auf meinen Lebensalltag auswirkte, möchte ich nun auf den nachfolgenden Seiten meine ganz persönliche Tierheim-Geschichte erzählen.

 

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