Rühren viele der geläufigen Vorurteile nicht daher, daß immer noch zu wenig Aufklärung betrieben wird und andererseits die Geschichte der Nazizeit und der Kirche das Denken der Menschen blockiert ? Darf es uns eigentlich wundern, daß die große Masse immer noch derart scheuklappenmäßig dem Thema Homosexualität gegenübersteht ?

Für viele Betroffene ist daher jeder neue und weitere Tag ihres Lebens eine neue Herausforderung. Von „superheiligen“ Heteros als  schwule Monster verunglimpft und seitens der Kirche als perverse Sünder verurteilt, müssen viele Schwule einen schweren Rucksack durch ihr Leben schleppen, während die  heterosexuelle Mehrheit Jahrtausende alte Vorurteile in ihren Westentaschen mit sich herumträgt

So mancher Schwule muss dann und wann unbarmherzigen Spott ertragen und kann sozusagen ein Lied darüber singen, wie es ist, von intoleranten und dummschwätzigen Mitmenschen als Zielscheibe benutzt zu werden. Eine Mehrheit haben sie niemals im Rücken und erfassen schon in frühen Jahren, was es heißt, innerlich emigriert zu sein.  Welch seltsam amorphen, toten Jahre, in denen nicht wenige Schwule unsagbar leiden.

Die bürgerliche Erziehung ist darauf ausgerichtet, homosexuell orientierte Menschen durch eine Mangel zu drehen und aus ihnen Produkte zu erschaffen, die gefälligst zu wissen haben, was „anständig“ ist, was sich gehört und was sie auf keinen Fall tun dürfen. Aber der Sexualtrieb eines Menschen ist auf Dauer nicht zu unterdrücken und erst recht nicht, wenn man noch jung ist und zeitweise aus gar nichts anderem als aus Trieb zu bestehen scheint.

Als „schwuler Abschaum“ spürt so mancher Betroffene die mehr oder weniger schmerzhaften Stiche der Gesellschaft, die ihn in ein Abseits schleudern und in seinem Innersten einen Sud aus Schuldgefühlen und Minderwertigkeit bewirken und daher auch eine pessimistische Grundstimmung zur Folge haben. Kein Wunder auch, denn jede Liebe, die nicht den Segen der Umwelt hat, ist früher oder später zum Sterben verurteilt. Dort aber, wo man lieben darf, dort werden bekanntlich Berge versetzt. Liebe verleiht Flügel. Ein nicht gerade origineller Spruch, doch er umschreibt die Kraft, die Liebe freisetzen kann. Und nur wer diese Kraft kennt und in sich trägt, kann sie auch an andere weitergeben und mit optimistischer Grundstimmung die Welt betrachten lernen.



Besonders tragisch ist meist die Situation derer, die in ländlichen Gegenden und kleinen Ortschaften als gleichgeschlechtlich Orientierte heranwachsen und daher mit ihrem Anderssein nicht in der Anonymität größerer Städte untertauchen können. Für solche Schwulen ist es immens schwieriger, sich zu ihrem Anderssein offen zu bekennen, einen festen Partner zu finden und mit diesem eine glückliche, harmonische und dauerhafte Zweisamkeit  zu führen. Wen wundert es, dass demzufolge umsomehr die Seele dürstet und die Sehnsucht nach Zärtlichkeit, nach Streicheleinheiten und sexueller Zweisamkeit ihren Tribut einfordert? Und kommt es irgendwann und endlich doch einmal zu einer Begegnung, die man sich gewünscht und herbeigesehnt hat, so sind es meist Begegnungen zwischen Tür und Angel, hinuntergeschlungen wie heiße Kartoffeln. Ansonsten nichts als Wüste in einem einsamen Leben. Immer wieder Sehnsucht nach Erfüllung, nach einer sich erfüllenden liebevollen Zweisamkeit.

So leben viele Homosexuelle in einem Ghetto, hineingezwungen und hineingetrieben von einer intoleranten Gesellschaft, die „warme Brüder“ und „lesbische Kühe“ in ihrer Mitte nur ungern duldet. Weil die Gesellschaft diese Sexualität nicht akzeptiert, schleichen sich viele Schwule in die Büsche dunkler Parks oder treiben es in den stinkenden Kabinen öffentlicher Toiletten, denn nur so können viele Homosexuelle herausfinden aus ihrer Isolation und Einsamkeit

Letztlich leben wir leider immer noch in einer Welt, in der Heteros als „normal“ und Schwule als „unnormal“ gelten. Die einen sind die „Stinknormalen“ und Männer, die ihresgleichen lieben, sind letztlich die „Stockschwulen“.  Aber dies alles sind nur Hausnummern und Schubkästen, gut für die Übersichtlichkeit und Einordnung, aber hinderlich fürs Leben. Mit solcherlei Denken hat man einen Schlagbaum errichtet, der die angeblich Guten von den scheinbar Bösen trennt. Auf der anständigen Seite wird kräftig der Zeigefinger gereckt und gegenüber feiern Schuldgefühle nicht selten ständige Auferstehung. Ja, viele Menschen finden sich von einer Atomrakete weniger bedroht als von dem Klingelknopf an der Wohnungstür, hinter der ein Schwuler lebt. So mancher verurteilt lautstark und mit gewichtiger Miene andere Menschen in Situationen, in denen er selbst noch nie handeln mußte.

Aus dem Brief eines Betroffenen:

"In all den bitteren Jahren ist mir allmählich ein wenig Hornhaut auf meiner Seele gewachsen: ich habe viele Kriege in meinem Herzen erlebt, den Krieg mit mir selbst, den Krieg mit meiner Umwelt, den Krieg mit der Kirche und mit meinem Glauben. Das Leben hat mich tausendfach verwundet und zu Boden geschlagen. Die Gegner waren mir oft überlegen und dennoch bin ich verkrüppelt, gelähmt und in der Seele blutend immer wieder aufgestanden und habe alles Bittere und Schwere, alles nahezu Unerträgliche und Leidvolle Jahr um Jahr mich immer wieder aufraffend mühsam überwunden."

Wäre es nicht endlich an der Zeit, daß einer intoleranten Gesellschaft die Schamröte ins Gesicht steigt, weil sie gleichgeschlechtlich orientierte Menschen über Jahrhunderte hinweg unterdrückt hat? Angesichts  dieser Unterdrückung und Diskriminierung leben auch heute noch viele Betroffene wie ein Vogel im Käfig, der die Freiheit nicht kennt und niemals die Freude am herrlichen Flug über Bäume und Felder empfunden hat.

Für viele Homosexuelle stellt sich auch heute noch die Frage, ob sie geduckte, leidende, ängstliche, einsame und depressive Schwule bleiben möchten - oder stattdessen endlich stolze und selbstbewußte Schwule werden wollen und sich somit nicht mehr länger den Normen ihrer Unterdrückung anzupassen, sondern diese aktiv zu bekämpfen.

Ist das Leben für Homosexuelle oftmals schon kompliziert genug, so ist es für schwule Christen noch um einiges komplizierter und schwieriger. Nach wie vor ist nämlich der größte Teil des Bodenpersonals Gottes mit sturer Unvernunft immer noch davon überzeugt und eingenommen, dass Homosexualität eine besonders ruchlose und frevelhafte  „Sünde“ vor Gott sei und angesichts der biblisch überlieferten Schöpfungsordnung Gottes  nicht toleriert werden könnte.

Demnach hören schwule Christen in ihren Gemeinden und christlichen Gemeinschaften alles andere als etwas Positives und Mutmachendes über ihre gleichgeschlechtliche Orientierung und werden immer wieder damit konfrontiert, dass ihre gleichgeschlechtliche Liebe etwas Verwerfliches, etwas Krankhaftes, etwas Unnormales und sehr Sündhaftes sei.

Das solcherlei Geschwätz aus dem Munde bibeltreuer Apologeten die Seele und Lebensfreude all jener Gläubigen vergiftet und zerstört, deren Gefühlsleben gleichgeschlechtlich orientiert ist, scheint diese homophoben Pharisäer und Schriftgelehrten nicht im geringsten zu interessieren und aller menschlichen Vernunft zum Trotz werden die Betroffenen mit steinzeitlichen Bibelversen traktiert, verängstigt, gebrandmarkt und in eine Enge getrieben, in der schwule Gläubige früher oder später erdrückt werden und kaum noch zu atmen vermögen.

Wen wundert es, wenn für so manchen schwulen Gläubigen der Glaube an die Bibel, an die Kirche und an den biblischen Gott irgendwann anzubrennen beginnt und dieser ganze Suppeneintopf für schwule Kirchgänger eines Tages sauer, schimmlig und ungenießbar wird?

 

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